Donnerstag, 17. Juli 2014

Niklas Götz
Monatsthema 7/14


Es ist allgemein und mit nur wenigen Ausnahmen wissenschaftlich anerkannt, dass der Mensch ein gewöhnliches Säugetier mit hoch entwickelter Intelligenz ist. Dennoch sieht er sich selbst als ein überlegenes, mit besonderen Rechten und Pflichten ausgestattetes Wesen. Ist dies berechtigt?
Thomas Max Müller  / pixelio.de

 
Eine solche existentielle Frage muss unter dem Aspekt der ideologischen Unvoreingenommenheit betrachtet werden, um zu einem gesellschaftlichen Konsens zu führen. Viele Religionen und Denksysteme bieten Antworten und Begründungsstrategien, die die Sonderstellung des Menschen auf verschiedene Weise herleiten. Dennoch sind sie nicht der Logik oder Evidenzien verpflichtet und können deshalb als Denkanstöße angesehen werden, jedoch nicht als abschließende Antwort.



Was unterscheidet nun dem Menschen von dem was wir als Tier bezeichnen, was ja auch Grundlage unseres Verhalten gegenüber den Tieren ist? Aus biologischer Sicht ist es ein Paradigma, dass sich der Mensch wie jede andere Art der Welt auch entwickelt hat. Sein physiologischer Aufbau weist wenig Unterschiede zu dem ähnlicher Rassen auf. Insofern ist er von seiner stofflichen Existenz keine Besonderheit – dies ist sogar noch konform mit den meisten anthropozentrischen Denksystemen, wie dem Christentum – nicht umsonst wurde in dieser für Europa so prägenden Religion der Mensch wie das Tier aus Erde geformt.

Was nun die Besonderheit unserer Rasse ist, findet sich bereits in unserem Grundgesetz. Dem Menschen wird die unantastbare Würde zugesprochen. Dies ist der oberste Wert unseres Rechtssystems, was unser Alltagsleben prägt. Gleichzeitig wird sie postuliert – aber wie können wir sie begründen?



Wieder bietet uns das Christentum einen Ansatz – der Mensch sei das Ebenbild Gottes. Doch aufgrund ihrer Einbindung in eine Religion ist dies nicht ausreichend, um die Würde letztendlich zu begründen.

Bereits in der Antike finden wir erste Versuche zur Menschenwürde, genauer bei Cicero. Hier sieht er sie jedoch einerseits als einen Anspruch an die Gesellschaft, die man sich durch Leistungen verdient. Andererseits sieht er sie als ein Recht, das aus der Vernunft des Menschen abgeleitet wird, welche das Tier nicht hat, woraus auch folgt, das einem unvernünftigen Menschen die Würde aberkannt werden kann. Der Verstand des Menschen ist bei vielen rein philosophischen Begründungen der Menschenwürde und damit der Höherstellung des Menschen über das Tier der Argumentationskern.



Doch dieser ist offensichtlich extrem angreifbar. Zum einen wissen wir mittlerweile, dass auch Tiere – bis zu einem gewissen Grad – vernunftbegabt sind. Natürlich werden die wissenschaftlichen Meldungen durch Medien stilisiert und einseitig betrachtet. Es ist jedoch schwer zu bestreiten, dass nicht nur Menschen Vernunft und Bewusstsein haben. Folgt man dem Paradigma der Entwicklung des Menschen aus den vorhanden Arten, so ergibt das auch Sinn. Schließlich hätte sich Bewusstsein und Intelligenz nicht aus dem Nichts plötzlich entwickeln können, sondern eher in einem Prozess. Demzufolge ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich andere Lebensformen in einem früheren Stadium des Prozesses befinden. Dies würde offensichtlich werden, wären die Vorstadien des moderenen Menschen nicht ausgestorben.

Jedoch kann man die Situation auch von einer anderen Seite betrachten. Es gibt zahlreiche Grenzfälle, in denen Menschen durch Unfall oder Krankheit große Teile ihrer geistigen Fähigkeiten verlieren, darunter ihr Verstand und ihr Bewusstsein. Ungeachtet dessen sprechen wir diesen Menschen nicht nur weithin Würde zu, sondern bezeichnen sie weiterhin als Mensch und nicht als Tier.



Es ändert auch nichts daran, wenn wir ein scheinbar anderes Argument verwenden und Tiere über ihre Triebgesteuertheit und den Menschen über seine Unterdrückung der Triebe zu definieren. Hier kann man wieder über beide Seiten argumentieren. Vor allem soziale Lebewesen haben genauso wie der Mensch die Fähigkeit, Triebe zugunsten eines Aufstiegs in der Gruppenhierarchie zu unterdrücken, ebenso wie auch Menschen rein triebgesteuert handeln können.

Einen anderer interessanter Ansatz ist eine Folge des zunehmenden Umwelt- und Naturbewusstseins. An diesem wird nämlich deutlich, dass sich der Mensch als einziges Lebewesen um den Fortbestand anderer Arten und Lebensräume sorgt, auch unabhängig von dessem direktem Nutzen für sich selbst. Er ist sogar bereit, dafür eigenen Wohlstand aufzugeben.

Sicherlich ist das ein offensichtlicher Unterschied zwischen Mensch und Tier. Man muss jedoch auch die Hintergründe dieses angeblichen Biozentrismus untersuchen. Einerseits haben wir es oft mit der bereits im vorigen Text von mir angesprochenen "Ethik der Ähnlichkeit" zu tun. Durch die Personifizierung der Umwelt (Mutter Erde bzw. Mutter Natur) liegt hier keine echte Fixierung auf Nicht-Menschliches Leben vor. Dies ist vergleichbar mit Kuckkucksküken. Auch hier wird für fremde Lebenswesen Sorge getragen, aber nur dank Ignoranz ihrer fremden Eigenschaften. Desweiteren ist Naturschutz oft eine Folge ästhetischer Bedürfnisse, weshalb hauptsächlich schöne Landschaften im Fokus stehen. Selbst die ästhetische Wahrnehmung, die zur Begründung der menschlichen Einzigartigkeit herangezogen wird, ist keine rein menschliche Fähigkeit – so können bekanntlich balzende Vogelmännchen mit ästhetischen Nestern überzeugen.



Es ist also offensichtlich, dass rein aus den Fakten der Mensch nur schwer als eine wahre Singularität betrachtet werden kann. Dies ist auch den meisten Menschen bewusst. Trotzdem ändert das kaum etwas an der gesellschaftlichen Behandlung von Tieren.

Dies hat wohl vor allem praktische Gründe. Die Absonderung der Menschen von den restlichen Arten legetimiert unethisches Verhalten gegenüber diesen, da man ihre niedere Wertigkeit als Nicht-Menschen gleichsetzen kann mit einem ethisch nicht-relevanten Objekt. Gleichzeitig befriedigt es auch den bei Freud postulierten natürlichen Narzissmus aufgrund der Höherstufung des Menschen. Ihm kommt eine Würde zu, und nur ihm. Damit hat der Mensch eine Einzigartigkeit, auf die sich sein Selbstwergefühl stützen kann. Zu beachten ist auch die identitätsstiftende Funktion: Indem Menschen sich auf ihre Würde und ihren Verstand beziehen, haben sie etwas, dass sie verbindet und gleichzeitig von allen anderen Lebewesen trennt. Dies kann aber auch dazu genutzt werden, um ein bestimmtes Verhalten zu fordern, wie bei Cicero: indem er fordert, ein Mensch definiere sich über seinen Verstand, ruft er dazu auf, diesen zu benutzen. Ansonsten ist man ja aus der Gemeinschaft der Menschen ausgeschlossen.



Ein weiterer Aspekt ist zu berücksichtigen: Die Fixierung auf die Einzigartigkeit der eigenen Rassen ist womöglich als eine natürliche Notwendigkeit zu sehen. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, muss er Angehörige der eigenen Art, welche ihm prmär freundlich gesinnt sind, von anderen Arten unterscheiden, die er nutzen kann oder denen er ausweichen muss. Die Grenze zwischen ähnlichem und unähnlichem Wesen ist daher zweckmäßig. Dass die eigene Art höhergeschätzt wird, verhindert Kannibalismus, Gewalt und ähnliche Erscheinungen zwar nicht vollständig, aber bis zu einem gewissen Grad.

Aber wie unterscheiden wir nun zwischen unserer und fremden Arten? Genauso, wie wir zwischen Freunden und Unbekannten unterscheiden: über Äußerlichkeiten.

Man stelle sich vor, in einiger Entfernung stehe ein Lebewesen – woher weiß man, ob es ein Mensch ist? Man versucht zu erkennen, ob es aufrecht steht, Arme, Beine und einen Kopf hat, prüft die Proportionen und sobald man nahe genug ist, die Gesichtszüge. Das ist das Bild, dass wir von einem Mensch haben. Selbst wenn er kein Wort sprechen könnte, keinen Verstand zeigen und keinerlei Regung zeigen würde – wir sähen einen Menschen.



Auch wenn der Mensch vielleicht ein Tier wie jedes andere ist – die gesellschaftlichen Schlüsse, die wir aus der vermeintlichen Einzigartigkeit des Menschen ziehen, sind wertvoll und haben die Menschheit vorangebracht. Auch wenn die Würde des Menschen nicht begründet werden kann, ist sie als Prämisse jedes staatlichen und privaten Handelns notwendig, um das Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft zu garantieren.

2 Kommentare:

  1. Ein sehr interessanter Artikel, der meiner Ansicht nach jedoch einige Kritikpunkte offen lässt.

    Die "ideologische Unvoreingenommenheit" etwa, auf die du dich im ersten Absatz berufst, ist zwar eine schöne Theorie, in der Praxis jedoch nicht zu erreichen. Völlig uneingenommen kann keiner von uns sein, auch du nicht. Denn gleich in den nächsten paar Sätzen zeigst du, dass du die Erklärungsansätze sämtlicher Religionen von vornherein ausschließt, da sie "nicht der Logik oder Evidenzien verpflichtet" sind. Das ist eine Annahme deinerseits, viele Religionsvertreter würden dir dort vehement widersprechen. Im Rahmen eines so kurzen Artikels ist es vielleicht gerechtfertigt, eine solche Annahme vornean zu stellen, um den Rahmen nicht zu sprengen. Die ideologische Unvoreingenommenheit leidet aber darunter - schließlich ist die Ablehnung aller Ideologien selbst eine Ideologie.

    Beim Rest des Artikels musste ich an Gödel denken - der Mathematiker, der im letzten Jahrhundert bewies, dass man ein geschlossenes System nicht aus sich selbst heraus beweisen kann. In seinem Fall bezog er es auf die Mathematik, doch mir scheint, bei der Ethik steht es ähnlich. Deine Argumentation ist fast durchgehend schlüssig; man kann die Würde des Menschen tatsächlich nicht "aus dem Nichts heraus" erklären. Historisch gesehen basiert dieses Konzept der Würde des Menschen auf seiner Position als Krone der Schöpfung. Wer letzteres verweigert, verliert damit auch die Möglichkeit, ersteres herzuleiten. Soweit liegst du völlig richtig.

    Dann versuchst du jedoch, die menschliche Würde als Grundkonstrukt unserer Gesellschaft zu retten, und da wird es in meinen Augen problematisch. Denn warum sollte ein Mitglied unserer Gesellschaft als Regel für all sein Handeln etwas akzeptieren, was es gar nicht gibt? Du sagst, er soll es tun, weil es dem Wohl der Gesellschaft dient. Aber warum soll er überhaupt um das Wohl anderer besorgt sein? Kann es sein, dass wenn wir der Würde des Menschen die Grundlage entzogen haben, wir gleichzeitig die Basis aller zwischenmenschlichen Rücksicht zerstören? Denn wenn mein Gegenüber nicht mehr Würde hat als irgendein Tier, dann kann ich getrost meine Interessen ihm gegenüber rücksichtslos durchsetzen.

    Das ein solcher Zustand absolut nicht wünschenswert ist, sehen wir alle ein. Jedoch scheint er die logische Schlussfolgerung zu sein, wenn man deine Argumentation zu Ende führt - oder?

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    1. Zuerst einmal Daniel: Ein sehr guter Kommentar!

      Zu deinem ersten Punkt: "Ideologische Unvoreingenommenheit" als Ideologie.
      Du hast recht, völlige Unvoreingenommen heit gibt es nicht, allerdings kommt die reine, pure Logik dieser am nächsten. Ich muss jedoch ganz offen zugeben, dass mir zur fehlerfreien und formgerechten Anwendung dieser einerseits die Kenntnis fehlt, andererseits wäre dies auch nicht mehr in einem essayistischen Stil möglich.
      Jedoch möchte ich bestreiten, dass zumindest Religionsvertreter im eigentlichen Sinne bestreiten, Religionen wären "nicht der Logik oder Evidenzien verpflichtet". Religion wird gemeinhin als instituionalisierter Glaube verstanden. Glaube definiert sich ja schon im Wort als etwas, an das man glauben muss - so etwas kann, aber muss nicht von Logik und Evidenzien abhängen. Deshalb fehlt es hier an einer Verpflichtung von diesen.
      Sollten die Religionen sich aber auf das Feld von Logik und Evidenzien begeben, wären sie im Bereich der Wissenschaft. Diesen habe ich nach Bestem Wissen und Gewissen miteinbezogen.
      Du siehst die Ablehnung aller Ideologien als Ideologie - das ist kritisch. Ideologien haben Inhalte, Zielvorstellungen und immanente Prämissen, die das Denken begrenzen. Die Ablehung aller Ideologien kann das Denken begrenzen, wenn ich Religionen schlichtweg grundlos ignoriert hätte. Das habe ich nicht, ich habe sie nur für meine Zwecke als unbrauchbar gekenntzeichnet. Eine pluralistische Gesellschaft ist miener Meinung nach darauf angewiesen, bei null zu beginnen, um fair und unvoreingenommen zu sein.

      Zum zweiten Punkt: Gödel
      Ich halte Gödel hier für kritisch, es handelt sich nicht um das gleiche Problem, ich habe hier ja keine Ansätze der Mengenlehre. Allerdings ist das Problem, das ich aufzeige, ein Grundproblem des Skeptizismus: ohne Prämissen kein Wissen. Da ich nichts als gegeben anerkenne, kann ich auch nur wenig anerkennen.

      Zum dritten Punkt: die Rettung der Würde
      Hier war ich etwas voreingenommen, es sei mir verziehen: ich halte die Menschenwürde für unabdingbar.
      Der Mensch hat das natürliche Bedürfnis danach, dass die eigene Würde geachtet wird, ebenso hat er die Tendenz, die Würde anderer anzuerkennen. Warum lieben Menschen, wo sie doch so oft enttäuscht werden? Es liegt in ihrer Natur.
      Jahrtausendelang gab es kein Christentum in Europa, ebensowenig gab es die Menschenwürde nicht. Dennoch wurde sie meist (!) geachtet. Die zwischenmenschliche Rücksicht war vorhanden, aber sie war brüchig.
      Die Würde des Menschen ist genauso ein natürlicher Trieb wie zu lieben.
      Da jedoch an die Würde existentielle Rechte gebunden sind, reicht es für eine gute Gesellschaft nicht mehr aus, sich auf den wechselhaften Trieb des Menschen zu verlassen - sie muss geschützt werden, es darf keine Brüche derselben geben.
      Im letzten Satz machst du übrigens ein Fehler: Wenn der Mensch ein Tier ist, muss ich ihn nicht wie ein Tier behandeln, ich kann auch das Tier wie einen Menschen behandeln.

      Insofern ist der Schluss meiner Argumentation nicht das Ende der Menschenwürde, sondern nur die Gewissheit, dass sie nicht zwingend gegeben ist, aber dennoch notwendig und eine praktische Notwendigkeit. Wir können die Menschenwürde nicht aus unserer Umwelt ableiten, aber es gibt keinen Weg an ihr vorbei, wenn wir gut leben wollen.

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