Mittwoch, 26. November 2014

 Martin Lotter
Was ist nur aus den deutschen Studenten geworden? Einst Kämpfer für die Demokratie oder Entstauber unter den Talaren der bürgerlichen Gesellschaft treten sie heute in der öffentlichen Diskussion innerhalb Deutschland nicht mehr in Erscheinung. Gefühlt gibt es sogar mehr Demonstrationen von Gymnasiasten als von Studenten. Ist denn alles gut in Deutschland?
"Martin Knorr" / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc-nd)
http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de


Studenten waren in der Vergangenheit oft die Triebfeder für gesellschaftliche Veränderungen oder die Speerspitze des aktiven Widerstandes gegen staatliches Unrecht. Beispiele der jüngeren Zeit sind der arabische Frühling oder aktuell der Kampf der Studenten für faire Wahlen in Hongkong.
In Deutschland haben wir ebenfalls eine große studentische Tradition. Im Kampf für Bürgerrechte, Demokratie und ein einiges Deutschland waren es die Studenten die im frühen 19. Jahrhundert die bürgerliche Revolution in Gang setzten. Das jedem Schüler bekannte Hambacher Fest ist ein Beispiel dafür.
Auch der Studentenprotest gegen sie Nazi-Herrschaft darf nicht vergessen werden. Die Weiße Rose ist dabei nur eine von vielen.
Die 68er engagierten sich für einen modernen Staat. In dem Slogan „unter den Talaren der Muff von tausend Jahren“ drückte sich den Wunsch nach einer modernen Bundesrepublik aus. Doch was kam nach den 68ern? Vereinzelt noch kleinere Demonstrationen gegen die Studiengebühren oder die Bologna-Reform. Aber davon abgesehen gibt es seitdem in Deutschland praktisch keine nennenswerten Studentenproteste mehr.
Ist denn alles gut in Deutschland? Sind die Studenten entpolitisiert und sammeln lieber ECTS-Punkte? Haben sie keine Zeit mehr um sich neben dem Studium um die Zukunft unserer Gesellschaft zu kümmern, welche ja ihre sein wird? Wo ist es geblieben dieses intellektuelle und energiegeladene Engagement junger Menschen? Ist es nicht das unvoreingenommene Kreativitätspotential junger Menschen das diese Gesellschaft benötigt? Wohin ist es entschwunden?
Selbst in der engsten Umgebung an den Universitäten gäbe es Grund zur Klage und Protest. Warum gibt es keine Demonstrationen gegen das peinlich geringe Bafög? Die Bildungsministerin verkauft die Erhöhung um sieben Prozent ab 2016 als großen Erfolg. Die letzte Erhöhung war 2010. Welcher Arbeitnehmer würde nicht streiken wenn er sechs Jahre keine Gehaltserhöhung bekommt.? Lokführer sicher nicht.
Schauen wir uns die Situation in den Hörsälen an. Viele Vorlesungen sind überfüllt, die Kommilitonen sitzen auf Treppen statt am Tisch und die Räume sind kalt und zugig. Während die Eltern und Schüler demonstrieren, wenn Klassen größer als 25 Schüler sind, tolerieren Studenten diese unhaltbaren Zustände. Die Räumlichkeiten an Hochschulen haben oft Dritte-Welt-Niveau. Viele Toiletten sind in einem Zustand, den man nicht einmal Asylbewerbern zumuten würde, ohne sich zu schämen. Studenten tolerieren dies – warum? Wir beklagen die ausbeuterischen Praktiken von Apple und Foxconn in China, vergessen aber dass manche Doktoranden oder wissenschaftlicher Mitarbeiter noch viel schlimmer ausgenutzt werden. Sie bekommen einen 15 Stunden Vertrag, der Lehrstuhlinhaber erwartet aber mindestens 40 Stunden Arbeitszeit. Und Studenten akzeptieren dies und sind auch noch „dankbar“.
Aber nicht nur an den Hochschulen wäre es Zeit die Samthandschuhe abzulegen. Waren es nicht die staatliche Überwachung und die fehlenden Freiheitsrechte, welche die Studenten auf die Straße trieben und dann zur Revolution 1848 führten? Wie steht es heute um unsere Freiheit? Ja, man kann sich ins Auto setzen und nach Italien fahren. Aber kann man sagen und schreiben, was man will ohne überwacht zu werden? Vor 1848 waren es staatliche Spione, die sich unter die Studenten mischten und deren Reden und Taten überwachten. Heute wird jedes Telefonat überwacht. Wo ist die Redefreiheit geblieben? Heute wird jede Email automatisch gelesen. Wo ist unsere Pressefreiheit und das Briefgeheimnis geblieben? Für solche Freiheiten haben die Studenten 1848 gekämpft und sind gestorben. Die Studenten heute geben diese Rechte und ihre eigenen Interessen für ein paar ECTS-Punkte auf.
Wach auf, wenn du Student bist!

1 Kommentar:

  1. Ich denke du hast eine relativ einseite Perspektive gewählt.
    Zuerst einmal: die historischen politischen Leistungen der Studenten dürfen nicht idealisiert werden. Die Studentenbewegungen des 19. Jh. führten auch zu ideologisierten Nationalismus. Und gerade Studenten ließen sich für den Nationalsozialismus begeistern. Und an RAF & Co. sollte man auch denken.

    Die Studenten heute sind anders. Sie haben Begriffen dass Sit-Ins, Aufmärsche und Co. nichts bringen und Idealismus Konsenslösungen unmöglich macht. Die Studenten sind erwachsen geworden, sie hängen keinen Wunschträumen mehr nach, sondern machen Politik.
    Aus diesem Grund gibt es Hochschulpolitik, um eben genau das möglich zu machen. Vielerorts ist die Hochschulpolitik vllt soger zerstrittener als die echte, ist vllt ebenso träge und hat von ihren Wählern noch weniger Rückhalt. Aber sie schafft es, trotz der heute viel schwierigeren Lage Veränderungen zum Positiven zu schaffen. Im Rahmen der Möglichkeien, die ihnen der Staat gibt, verändern Studenten viel zum Besten aller - etwas, dass die 68er mit ihrem idealistischen Egoismus und Wahnfantasien von Revolution nicht schafften.

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