Mittwoch, 19. November 2014

Martin Lotter
Monatsthema 11/14

Angst vor Russland ist nicht per se vorhanden, sondern Angst entwickelt sich oder wird geschürt. Was hat Russland selbst zu der Angst beigetragen?

Foto: Theresa Kruse



Machen wir einen Vergleich: Haben Luxemburg oder Belgien Angst vor Deutschland? Beide Länder sind weit kleiner als Deutschland und wurden im letzten Jahrhundert zweimal von Deutschland überfallen. Beide Länder haben heute keine Angst vor Deutschland.
Russland – zumindest in der Putin-Ära – ist groß und provoziert heftig. Putin annektiert oder destabilisiert Regionen, welche er als „sein“ Einflussgebiet sieht, egal ob diese eine eigener Staat sind oder nicht. Die Krim oder Ostukraine ist nur weitere Regionen. Georgien, Tschetschenien sind Beispiele aus früherer Zeit. Russland ist revanchistisch. Die Sowjetunion hat sich friedlich aufgelöst und es scheint, als ob Putin die Sowjetunion unter Russlands Führung wieder implementieren will. Russland erkennt keine bestehenden Grenzen an. Im Balkankrieg haben Serben argumentiert: Dort, wo serbische Gräber sind, ist Serbien. Ähnlich denkt Putin.
Zum Vergleich: Denkt Deutschland so? Annektiert oder destabilisiert Deutschland Regionen, welche es beeinflussen will? Oder ist Deutschland nicht zurückhaltend und eher devot? Unsre Nachbarn könnten im Hinblick auf unsere Vergangenheit Angst vor Deutschland haben. Deutsche Gräber sind vom Elsass bis ins jetzige Polen. Aber wir haben auf jegliche Grenzanpassung verzichtet. Und jeder Deutsche, der diese Thema anschneidet (vereinzelt Mitglieder der Vertriebenenverbände), wird sofort zum Paria erklärt! Es ist also das Verhalten der führenden Politiker und der gesellschaftlichen Gruppen, welche sie unterstützen, die Ängste im Ausland schüren. Ein anderer Politiker als Putin, der sich moderat verhält, könnte Ängste vor Russland in den Nachbarstaaten abbauen. Da dem nicht so ist, muss auch das Baltikum vorsichtig sein und deren ist Angst berechtigt.
Ängste resultieren aber nicht nur aus der besorgniserregenden Außenpolitik, sondern auch aus der Innenpolitik Russlands. Vergleichen wir auch hier wieder die EU-Länder und Russland. Nehmen wir als Beispiel die Pressefreiheit. Sie ist in der EU ein hohes Gut. Ungarn wird scharf kritisiert, weil es dort Ansätze von Zensur gibt. In Russland ist die Medienlandschaft praktisch verstaatlicht. Die letzten ausländischen Konzerne wie Springer und Burda müssen die Mehrheit ihrer Medienunternehmen an russische Firmen verkaufen. Freien Journalismus gibt es praktisch nicht mehr.
Beispiel Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Unzählige politisch aktive Menschen sind in Russland inhaftiert. Politische Parteien werden verboten oder massiv behindert. Nur die Putinpartei genießt in den Medien Aufmerksamkeit. Das Justizsystem ist nicht unabhängig. Politische Prozesse sind die Regel. Wie bei Pussy Riot oder dem Ölmilliardär Chodorkowski entscheiden die Gerichte so wie es der Kreml vorgibt. Russland ist weit von einer „lupenreinen Demokratie“ entfernt. Es ist weit von Maßstäben entfernt nach denen wir in der EU eine freiheitlich demokratische Grundordnung und einen Rechtsstaat haben. Kein Wunder, dass wir Angst vor Russland haben. Putins Russland ist anders. Und je näher man an Russland wohnt - wie beispielsweise die Balten – umso mehr Angst muss man haben. Das ist verständlich.
Russland hat aber auch eine andere Konfliktkultur als Westeuropa. Wir konnten dies recht gut an den jungen russischen Übersiedlern erkennen. Es kam und kommt in Deutschland immer wieder vor, dass junge russische Männer in gewalttätige Konflikte geraten. Während gerade in West- und Mitteleuropa Konflikte entweder verbal oder vor Gericht ausgetragen werden, neigen Russen dazu Konflikte mit körperlicher Gewalt auszutragen. Relativ viele junge Russen sind in Deutschland Insassen in Gefängnissen. Das schafft kein Vertrauen in Russland. Sind die Menschen in Russland alle so wie diese jungen Russen könnte man fragen?
Angst vor Russland hat aber auch etwas mit der Erinnerung zu tun. Und mit der Frage, wie man mit der belasteten Erinnerung umgeht. Berechtigte Angst könnten auch Franzosen, Belgier oder Polen vor Deutschland haben. Aber Deutschland tut viel für ein gutes Verhältnis zu seinen Nachbarn, also für Völkerverständigung. Schüleraustausch und Städtepartnerschaften sind nur zwei Beispiele. Die Menschen in den Nachbarstaaten von Russland, insbesondere Deutschland, haben sehr schlechte Erinnerungen. Nicht nur an die Gräueltaten der Russischen Armee im zweiten Weltkrieg. Die Unterwerfung des Baltikum und anderer osteuropäischer Staaten oder die Unterdrückung der Freiheitsbestrebungen in Ungarn und Tschechien sind Beispiele für negative Erfahrungen. Was tut Russland für die Völkerverständigung? Gerade mit seinen baltischen Nachbarn? Oder mit Polen? Angst baut man ab, indem man Vertrauen aufbaut. Vertrauten baut man mit Taten auf. Das Verhalten Russlands gegenüber der Ukraine schürt Ängste. Die Erpressung mit Gaslieferungen ist eben nicht vertrauensfördernd. Alte Erinnerungen werden wieder wach. Die aktuellen militärischen Provokationen im Luftraum über der EU sind ein weiteres Beispiel.
Angst baut man leider auch mit Taten auf. Putin ist ein Täter. Wir können nur hoffen, dass nach Putin ein Regierungschef an die Macht kommt, der besonnener ist und Vertrauen aufbaut. Deutschland hat es geschafft. Russland kann es auch schaffen.

2 Kommentare:

  1. Ein guter Artikel! Du fasst die momentane Situation gut zusammen, so, wie viele sie sehen. Die Frage bleibt nur: wie lässt sich der status quo (zum Positiven) verändern?

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  2. Kurze Anmerkung vorab: Als "devot" würde ich Deutschland nicht bezeichnen, eher sehr kompromissbereit. Ob die erhöhte Straftatenquote unter jungen Russen wirklich an der Kultur liegt oder nicht eher viel mehr an dem niedrigeren sozialen Status, kann ich nicht klar sagen.

    Russland hat meiner Meinung nach nicht die Absicht, Angst unter der Bevölkerung zu schüren - man siehe hierzu die Selbstdarstellung im neuen deutschen Fernsehsender von Russia Today. Aber es will mehr Macht - ob dies an Putin oder seinen Beratern liegt, weiß man nicht. Aber man darf nicht mitspielen, sich nicht provozieren lassen. Das haben wir schon bei der Kuba-Krise gelernt.

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