Mittwoch, 17. Dezember 2014

Martin Lotter

Monatsthema 12/14 
"Daniela Ross" / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc)
http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/deed.de
Wenn man sich mit der Frage beschäftigt, ob Europa und insbesondere Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen soll, wird gerne die Metapher „Das Boot ist voll“ verwendet. Noch ein Zuwanderer mehr - und das Schiff sinkt! Leider verwendet die NPD dies als ihren Wahlkampfslogan. Nutzt man selbst diesen Begriff, dann wird man mittlerweile schnell in die rechte Ecke gestellt. Man kann aber auch neutral die Frage stellen: Ist das Boot voll? Oder wäre noch Platz für weitere Asylbewerber und wenn ja, wie viele haben noch Platz?

Diese Frage lässt sich nicht pauschal mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Es kommt darauf an, wen man fragt. In unserer Gesellschaft gibt es sowohl nachvollziehbare Gegner von weiterer Zuwanderung also Vertreter von „Das Boot ist voll“ als auch jene, die meinen, Zuwanderung oder die Aufnahme von weiteren Asylanten ist vertretbar.
Vergleichen wir die Position eines schlecht ausgebildeten Arbeiters mit Familie und einem promovierten Akademiker-Ehepaar ohne Kinder. Die teils gut ausgebildeten und ehrgeizigen Zuwanderer könnten dem Arbeiter den Job streitig machen. Er ist Alleinverdiener und würde mit seiner Familie ins Hartz IV abrutschen, wenn er seinen Job an einen Asylanten verliert. Also ist es nur nachvollziehbar, dass Geringqualifizierte gegen Zuwanderung sind. Asylanten nehmen Hochqualifizierten keine Jobs weg.
Wo entstehen Asylantenheime, wo wohnen die Zuwanderer? Davon hängt ab, ob die jeweilige Bevölkerung eher der Meinung, dass das Boot ist voll ist – oder eben nicht. In Nobelvierteln wie Starnberg oder Bad Homburg gibt es keine Asylantenheime und deshalb lassen sich dort auch keine Zuwanderer nieder. Die Immobilen sind nicht geeignet. Die dortige Schickeria ist womöglich der Meinung, Zuwanderung sei kein Problem. Sie wird womöglich nicht mit deren Folgen konfrontiert. Wer wenig verdient, lebt in Stadtteilen, wo sich Zuwanderer bevorzugt niederlassen. Also in Stadtvierteln mit dichter Bebauung und sowieso schon hohem Ausländeranteil. Deren Bewohner sind möglicherweise der Meinung, es gäbe genug Ausländer in ihren Vierteln. Vergleichen wir die Haltung von Mietern und Vermietern. In vielen Regionen steigen die Mieten unaufhörlich. Für Vermieter ist Zuwanderung eine Gelddruckmaschine. Noch mehr Einwohner bedeutet weiter steigende Mieten. Mieter hingegen fürchten Zuwanderung. Im letzten Jahr sind 450.000 Menschen nach Deutschland zugewandert. Wohnen jeweils drei in einer Wohnung bedeutet dies, dass wir alleine durch Zuwanderung rund 120.000 neue Wohnungen benötigen. Wie denken wohl die Mieter im teuren München oder Frankfurt über Zuwanderung?
Natürlich gibt es auch Kommunen, welche Zuwanderung erst einmal als Chance sehen. Regionen mit hoher Abwanderung hoffen auf neue Bewohner. Der Bürgermeister von Goslar wirbt um Zuwanderer. Womöglich ist seine Stadt nicht so pleite wie Essen oder Duisburg. Die dortigen Kommunen haben nicht nur eine hohe Arbeitslosigkeit. Sie sind auch pleite. Jeder neue Zuwanderer hat erst mal keinen Job. Also ist er ein Arbeitsloser mehr. Die Stadt – welche ehedem schon pleite ist - muss nun auch noch Asylanten finanzieren. Ist aus deren Sicht das Boot nicht voll?
Aus finanzieller Sicht stellt sich natürlich die Frage, ob wir mehr Asylanten aufnehmen sollen. Sehen wir uns die Sicht der zuständigen Politiker an. Das gibt es Vertreter wie Finanzminister Schäuble oder seine Kollegen, welche keine neuen Schulden machen wollen. Die schwarze Null und Schuldenabbau ist ihr Ziel. Leichter tun sich oppositionelle Gutmenschen und Sozialpolitiker ohne Verantwortung für Finanzen. Sie können an ihr eigenes oder das soziale Gewissen anderer appellieren und die Aufnahme von mehr Asylanten fordern. Asylanten kosten Geld. Das ist nun mal Fakt. Und die Finanzminister müssen es beschaffen und werden gleichzeitig kritisiert, wenn neue Schulden gemacht werden. Wer ist nun der Meinung dass das Boot voll ist und wer nicht?
Politiker fordern zu Recht, dass die Last des Zustromes von Asylanten in Europa gerecht verteilt werden sollte. Soll die Verteilung nach Wirtschaftskraft oder Bevölkerungszahl erfolgen? Europa ist sich darüber nicht einig und ebenso wenig darüber, ob das Boot nun voll ist oder nicht. Es gibt Länder, denen es wirtschaftlich verhältnismäßig gut geht. Deutschland, aber auch Norwegen oder die Niederlande. Die Arbeitslosigkeit dort ist relativ gering und die Finanzen sind in Ordnung. Ist womöglich aus Sicht von Griechenland und Italien mit extrem hoher Staatsverschuldung und Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent das Boot nicht voll? Welchen Job sollen die Asylanten denn bekommen, wenn die eigenen Kinder arbeitslos sind?
Hier kommen wir zu den grundsätzlichen Sichtweisen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Aus dem Blickwinkel vieler Arbeitgeber ist das Boot nicht voll. In einer Marktwirtschaft gilt auch am Arbeitsmarkt grundsätzlich das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Zuwanderung bedeutet für Arbeitgeber, dass - früher oder später - die Zahl der ausgebildeten Bewerber um offene Stellen zunimmt. Zwangsläufig steigen die Löhne weniger schnell. Für Arbeitnehmer im Allgemeinen ist dies ein Nachteil. Kein Wunder also, dass die Arbeitgeberlobby an sich Zuwanderung befürwortet.
Umfragen zeigen, dass in der hiesigen Bevölkerung die Frage, nach einer weiteren Aufnahme von Asylbewerbern unterschiedlich gesehen wird. Es gibt sowohl eine große Zahl von Bürgern welche der Meinung sind - weniger diplomatisch formuliert – das Boot ist voll. Aber es gibt auch viele, welche der Aufnahme weiterer Asylanten offen gegenüber stehen. Letztere müssen aber früher oder später eine Frage beantworten an der kommt Deutschland und Europa nicht vorbei. Der Zustrom von Asylbewerben ebbt nicht ab. Wann ist das Boot voll – oder diplomatisch formuliert: Wie viel Zuwanderung verträgt eine Gesellschaft?
Dies wäre eine spannende Frage für einen weiteren Artikel.

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