Sonntag, 29. September 2013

Niklas Götz 


 Kaum einer kennt wohl den größten Helden der Neusten Justizgeschichte, der Adolf Hitler selbst  auf die Gerichtsbank holte. Noch spannender als sein Leben ist die Frage, weshalb er vergessen ist. Der erste Teil der Pentalogie führt in die Geschichte ein. 



Als der von Krankheit gezeichnete, römische Kaiser Vespasian seinen Tod und die darauf folgende Divinisierung vorhersah, soll er gesagt haben: „Vae, puto deus fio!“ (Sueton, Vespasian 23) – Wehe, ich glaube, ich werde ein Gott. Im Hinblick auf das Aufsehen, das sein Schicksal in England erregte, aber auch auf die Verehrung als Volksheld der DDR hätte Hans Litten dies wohl ebenfalls sagen können, als er sich nach 5 Jahren Folter in verschiedenen KZs am 5. Februar 1938 in Dachau das Leben nahm.

Dennoch ist dies mit Einschränkungen zu sehen, denn während in der DDR jedes Schulkind den proletarischen Anwalt kannte, ließen sich in der Bundesrepublik bis zur Wende kaum Werke über ihn finden. Einzig bekannt waren das Buch seiner Mutter, Irmgard Litten, die ihren Kampf um die Freilassung ihres Sohnes schildert, sowie das Buch seines Jugendfreundes Max Fürst, welches ihre gemeinsame Kindheit in Königsberg beschreibt. Die mangelnde Rezeption Littens ging sogar so weit, dass man, als 1988 bei einer Veranstaltung über Litten in seinem Todesort Dachau ein Referent gesucht wurde, niemand anderen fand als einen DDR-Historiker.

Hans Litten galt als proletarischer Anwalt der Weimarer Republik, was nicht heißt, dass er aus einer Arbeiterfamilie stammte, sondern dass er sich für die Arbeiter einsetzte. Kaum ein Proletariersohn konnt sich ein Studium der Rechtswissenschaften leisten, vielmehr waren es Menschen, die sich von den Paradigmen ihrer Klasse lösten und sich für die weniger begüterten Zeitgenossen einsetzten. Zwar hatte es von dieser Gattung einige Exemplare gegeben, doch die meisten sind mittlerweile vollständig vergessen. Dies liegt einerseits daran, dass viele andere Juristen der damaligen Zeit im Dritten Reich zu Kollaborateuren wurden und alle Spuren der Anhänger gegensätzlicher Ideologien auslöschten, d. h. den antifaschistischen Widerstand aus ihren Akten entfernten. Andererseits besaß das juristische Milieu lange Zeit ein gewisses Traditionsbewusstsein, welches eine Identifizierung mit der gutbürgerlichen Klasse, ihrem Verhalten und ihrem Denken verlangte. Hans Litten war dazu jedoch ein Gegenmodell, welches eine vollständige Negierung darstellte.

Doch während Letzteres keinesfalls ausreicht, um einen Menschen aus der Geschichte zu entfernen, wird Ersteres aus einer Vielzahl von Gründen widerlegt. Genauso wie bei seinen Leidensgenossen Karl Liebknecht, Kurt Rosenfeld, Felix Halle, Rolf Helm, Franz und Hilde Neumann sind zwar viele Dokumente über den proletarischen Anwalt verschwunden, dennoch erlangten sie alle eine außerordentliche Berühmtheit in der DDR. Demzufolge muss noch genügend Material zur Verfügung stehen, um sich ein Bild des Lebens dieser Ikonen machen zu können. Gerade bei Hans Litten ist dies offensichtlich, denn bereits während des Krieges hatte seine Mutter Irmgard Litten ein Buch über die grausamen Aufenthalte in verschiedenen Konzentrationslagern ihres Sohnes und ihre erfolglosen Versuche, ihn zu befreien, unter dem Titel „Eine Mutter kämpft gegen Hitler" veröffentlicht. Es erschien in England, Frankreich, den Vereinigten Staaten, Mexiko und sogar China. Nach dem Krieg, schon im Jahre 1947, brachte es der Greifenverlag heraus, und 1984 gab es vom Röderberg-Verlag in Frankfurt eine Neuauflage. Eine weitere Quelle bieten die Lebenserinnerungen von Max Fürst aus dem Jahre 1973. Aber wohingegen in der DDR einige Biographien, wenn auch teilweise mit sozialistischer Propaganda, erschienen, so sollten sich in Westdeutschland erst nach der Wende Werke von besserer Qualität finden.

Um den Grund hierfür zu finden, ist es notwendig, tiefer in das Leben Hans Littens einzudringen, was nächste Woche in einem kleinen Exkurs geschehen soll.

Die Hans-Litten Pentalogie:
1. Ein Einführung
2. Ein Leben für die Gerechtigkeit
3. Schamhaftes Schweigen in der BRD
4. Littenkult in der DDR
5. Auferstanden aus Ruinen

4 Kommentare:

  1. Mir sagte Hans Litten bisher auch nichts, aber ich finden den Satz bemerkenswert: ... " während in der DDR jedes Kind den proletarischen Anwalt kannte..."

    Wir Deutsche sind bis zur Wende 1989 mit unserer Vergangenheit sehr unterschiedlich umgegangen. Im Westen kannte man Widerstandskämpfer wie die Geschwister Scholl in München, Graf Staufenberg und vielleicht noch Dietrich Bonhoeffer. In der DDR wurden ganz andere Namen propagiert. Rosa Luxemburg, Liebknecht und eben Litten.
    Heute sind die schulischen Unterschiede in der zeitgeschichten Betrachtung immer noch groß. Egal ob man einen Nord-Süd oder Ost-West Vergleich anstellt.
    Ursache ist die Kulturhoheit der Länder Ich bin der Meinung dass die Kulturhoheit endlich überwunden werden muss. Deutschland hat eine Kultur und eine Geschichte. Mit regionalen Ausprägungen, aber mit zentralen Elemente. Gerade die NS-Zeit bedarf einer einheitlichen Betrachtung.

    AntwortenLöschen
  2. Eine interessante Sichtweise. Diese ideologische Überfrachtung von Biografien werde ich vor allem in Teil II und III noch einmal betrachten. Das Bildungssysteme stets zur ideologischen Indoktrinierung (auch das jetzige! - jedoch in reflektierterer und ethisch sinnvoller Form) dienen, kann man als gegeben betrachten.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Es ist in diesem Jahr ein Hörbuch erschienen: Die Schauspielerin Patricia Litten liest das Buch ihrer Großmutter Irmgard Litten! Sehr ergreifend...bleibt nur zu hoffen, dass es von vielen Menschen gehört wird! Danke für diese interessanten Veröffentlichungen, Niklas Götz!

      Löschen
  3. @Niklas:
    "Das Bildungssysteme stets zur ideologischen Indoktrinierung (auch das jetzige! - jedoch in reflektierterer und ethisch sinnvoller Form) dienen, kann man als gegeben betrachten."
    Da hast du eindeutig Recht. Überdies hat natürlich jede Region auch ihre eigene Sicht auf die selben Ereignisse. Es ist interessant, amerikanische, britische und deutsche Geschichtsbücher zu vergleichen, bsp. darin, wie sie den Zweiten Weltkrieg vorstellen.

    @Anonym:
    Das scheint in der Tat eine der Schwächen des Föderalismus zu sein (der übrigens auch zum Großteil kulturell begründet ist).

    AntwortenLöschen

CATOteam 2013
Ceterum censeo...