Mittwoch, 20. August 2014

Lea Heinrich
Monatsthema 8/14
Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Bildnummer: 30014064
 The Great War – Der „ große“ Krieg. Nicht umsonst nennen die Engländer so den Ersten Weltkrieg. Mit neuer, besonders zerstörerischer Technik, unglaublich grausamen Menschenrechtsverletzungen in jeglicher Hinsicht und Millionen Opfern stellt der Erste Weltkrieg eine bis dahin noch nie dagewesene Brutalität des Bekriegens dar, sodass der Ausdruck eines immens großen Krieges, also eines „Great Wars“ die Situation perfekt beschreibt. Durch das Attentat auf Sarajevo am 28. Juni 1914 eskalierte die zwischen den verschiedenen Staaten ohnehin schon angespannte Lage, der Weg zu blutigen Schlachten und Vernichtung war nicht mehr weit. Vor allem das Deutsche Reich war zu großen Teilen mitverantwortlich für den Ausbruch. Doch wie konnte dieser letztendlich passieren? Wie konnten sich die diplomatischen Beziehungen der verschiedenen Länder Europas innerhalb von etwa 25 Jahren so verschlechtern, dass ein Weltkrieg begann?
Um einen ungefähren Überblick zu bekommen, muss man sich die gesellschaftlichen und vor allem politischen Umstände anschauen, die in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts herrschten. Zwar kann man nicht mehr von der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands sprechen, aber trotzdem trägt Deutschland eine immens große, wahrscheinlich die größte Mitverantwortung am „Great War“. Deswegen ist es wichtig die politischen Schritte Deutschlands, die zur Zerstörung der Diplomatie mit anderen Staaten führten, zu betrachten.

Wie kam das Deutsche Reich zu dieser Aufgabe freundschaftlicher Verträge? Der wichtigste Grund ist hier wohl eindeutig der Kaiserwechsel. Bis 1888 regierte im Deutschen Reich Kaiser Wilhelm I. zusammen mit dem Reichskanzler Otto von Bismarck. Nach dem Tod des Kaisers besteigt sein Sohn als Friedrich III. den Thron. Aufgrund eines starken Kehlkopfkrebses stirbt er aber schon nach 91 Tagen Regierungszeit. Wieder folgt der Sohn auf den Thron: Mit nur 29 Jahren wird Kaiser Wilhelm II. der höchste Mann im Staat. Und schon bald nach seiner Erhebung zum Kaiser stellt Wilhelm II. alles auf den Kopf: 1890 feuert er nach 23 Jahren Regierungszeit Otto von Bismarck. Mit Wilhelm I. hatte Bismarck erfolgreich diplomatische Beziehungen zu europäischen Nachbarstaaten aufgebaut. Durch zurückhaltende Kolonialpolitik ließ er Frankreich, Großbritannien und Russland freie Hand in Afrika, Asien und Südamerika. Er selbst verzichtete weitesgehend auf die Bodenschätze, die diese fernen Länder zu bieten hatten. Außerdem schuf er verschiedene Bündnisse, die den Frieden sichern sollten: Zum einen war da der Dreibund, welcher eine Allianz zwischen Österreich-Ungarn, Italien und Deutschland bildete und tatsächlich als einziges von Bismarck geschaffenes Abkommen bis zum Ersten Weltkrieg hielt. Zum anderen gab es den sogenannten Rückversicherungsvertrag mit Russland, der im Kriegsfall Neutralität des anderen Landes versicherte. Als letztes vermittelte das Deutsche Reich für das „Mittelmeerabkommen“ zwischen Italien und England (später traten noch Spanien sowie Österreich-Ungarn dem Bund hinzu). Mit dem Vertrag dieser Parteien löste es aber gleichzeitig eine Annäherung Englands an Deutschland aus.

Wie bereits oben erwähnt, missachtet Wilhelm II. jedoch Bismarcks erfolgreiche Bemühungen für ein freundschaftliches Verhältnis europäischer Staaten und kündigt ihm. Grund dafür waren Streitigkeiten über das sogenannte Sozialistengesetz - ein Entwurf von Bismarck, in dem härtete Sanktionen gegen SPD-Mitglieder gefordert werden – welches der neue Kaiser kategorisch ablehnt. Auch spätere Minister wechselt er so häufig, dass diese fast komplett handlungsunfähig sind. Ein neues, vom Kaiser beschlossenes Gesetz, welches wonach dieser die vollständige Kontrolle über den Reichstag und die Minister hat und den Kanzler jederzeit absetzen kann, führt beinahe zur alleinigen Führung des Reiches durch den Kreis der Männer um Wilhelm II.

Wie aber konkret haben diese Monarchen die deutsche Politik verändert? Der erste Fehler den Wilhelm II macht ist dieser: Hatte das Deutsche Reich zu früheren Zeiten auf „einen Platz an der Sonne“ also auf Kolonien fast vollständig verzichtet, meint der Kaiser jetzt, dass Deutschland auch Ansprüche auf ebendiese habe. Folglich leitet der Kaiser alles ihm in der Macht stehende ein, um wenigstens einige wenige Länder und Inseln unter seine Kontrolle bringen zu können. Wirtschaftlich gesehen ist dies nicht einmal besonders sinnvoll, von den diplomatischen Folgen ganz zu schweigen. Das Misstrauen der Engländer, der USA und Russland wird geweckt, auch dadurch, dass die Rüstungsausgaben des Deutschen Reiches extrem steigen. Zudem erhöhen sich nicht nur die Rüstungsausgaben: Auch in die deutsche Seeflotte wird investiert, diese wird im Reich so populär, dass der Flottenverein zum mitgliederstärksten Verein wird.

Vor allem England, zu dieser Zeit die unangefochtene europäische Seemacht fürchtet sich vor Machtverlust. Auch wird der Ärger der Engländer 1896 durch die Krüger-Depesche noch verstärkt: Nachdem Großbritannien bei dem Versuch die Burenrepublik Transvaal durch militärischen Eingriff einzunehmen scheitert, reagiert das deutsche Außenministerium äußert taktlos. Der Kaiser schickt ein Telegramm an den Burenkönig, in dem er zur Niederschlagung des britischen Aufstandes gratuliert. Die Britten sind empört und ziehen sich als Konsequenz dieser ganzen Geschehnisse aus dem Mittelmeerabkommen zurück und nähert sich Frankreich durch die „Entente Cordiale“, einem Interessenabkommen zwischen den beiden Ländern.

Doch nicht nur England, sondern auch Russland fühlt sich vom Deutschen Reich vor den Kopf gestoßen. 1900 möchte Russland den bestehenden Neutralitätsvertrag mit dem Deutschen Reich verlängern, der Kaiser zeigt allerdings kein Interesse. Andere, strategisch günstige Abkommen suchend, wendet sich der Zar nun zuerst an Frankreich und bildet mit diesem 1894 einen Zweibund, 1907 bildet sich zwischen Russland, England und Frankreich schließlich die „Triple Entente“, - welche eine Erweiterung der „Entente cordiale ist “ - ein Bündnis, das das Deutsche Reich nun fast vollkommen isoliert. Beachtenswert ist auch, dass Deutschland es praktisch geschafft hat, die anderen Staaten so gegen sich aufzuwiegen, dass sogar historische Feinde wie Russland und England sich verbündeten und Frankreich – trotz früherer politischer Isolation aufgrund der Niederlage gegen den Deutschen Staatenbund von 1870/71 – auch wieder in deren Verträge einbezogen wurde. Das zeigt sich auch an den beiden Marokkokrisen 1905 und 1911. Kaiser Wilhelm wurde sich der ausgeschlossenen Lage seines Reiches bewusst, weshalb er in einer internationalen Versammlung klären wollte, wie Marokko aufgeteilt werden sollte. Sein Ziel war die erneute Isolation Frankreichs. Zwar wurde auf dieser Konferenz Deutschland sowie allen anderen Staaten wirtschaftliches Handeln erlaubt, faktisch hatte aber Frankreich den größten politischen Einfluss in der Kolonie. Des deutschen Kaisers Bemühungen waren also umsonst gewesen. Der zweite Teil der Marokkokrise (auch genannt Panthersprung nach Adagir) verlief dann für die Deutschen noch unglücklicher: Als Drohgebärde für die Franzosen, die immer tiefer in Marokko eindrangen, ließ das Reich das Flottenschiff „Panther“ in den Hafen der Kolonie einlaufen. Jedoch wieder schlagen sich die anderen Großmächte auf die Seite der Franzosen, die deutschen Forderungen nach mehr Einfluss bleiben unerfüllt.

Alles in allem ist spätestens jetzt eine so spannungsgeladene Stimmung in Europa erreicht, dass eine Eskalation unausweichlich scheint. Drei Jahre später ist es dann soweit, wir sind am Anfang des Artikels angelangt. Mit dem Attentat auf Sarajevo steuert Europa auf den Untergang zu.




6 Kommentare:

  1. Ein schöner Überblick über die Zeit vor dem Krieg! Besonders gefällt mir, dass du vor allem auf die weniger bekannten Aspekte eingehst - der Panthersprung z.B. wird nur selten erwähnt.

    Eine winzige Kritik hätte ich aber: den gewählten Präsidenten der Transvaal Republik Paul 'Ohm' Krüger als "Burenkönig" zu bezeichnen, ist vielleicht nicht ganz passend...

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    1. Kann sein, das die Bezeichnug nicht ganz klar ist, die Quellen die ich im Internet benutzt habe, haben aber alle diese Bezeichnung verwendet, ich habe das übernommen.

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  2. Ich vermute (laienhaft), die Absetzung Bismarcks lag zwar offiziell im Streit um die Sozialistengesetze begründet lag, inoffiziell aber die absolutistischen Bestrebungen Wilhelms II. die Ursache waren, da er ja somit den zweitmächtigsten Mann im Staat ausschalten konnte.
    Wilhelm II. beherrschte das Spiel mit der Macht nicht. Anstatt klug und vorsichtig Macht zu gewinnen, indem man Macht aufgibt, versuchte er mit seiner Politik der Stärke einen Alleingang - die anderen europäischen Mächte ließen sich breitwillig provozieren.

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    1. Richtig vermutet! Kaiser Wilhelm schrieb schon 1905 an Reichskanzler Bülow: "Wir hätten das System der Ausgleiche und agreements, das Eduard VII. in so meisterhafter Weise zu befolgen versteht, auch mehr versuchen sollen, als uns immer auf den pikierten Rechtsstandpunkt des Beleidigten zu stellen."
      Zitat aus meinem kürzlich erschienenen Buch: Kaiser Wilhelm II. war kein Schlafwandler, Seite 75. ISBN 9783980960045
      Bemerkung: Ich bin der Opa von Lea!!

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  3. Ein sehr interessanter Versuch die komplexen Verhältnisse im Vorfeld des Ersten Weltkriegs zu beleuchten. Leider aber unvollständig und nicht ausgewogen. Gerade die Kriegschuld-Debatte ist ein schwieriges Thema, welches lange und immer wieder von den Historikern diskutiert wurde und wird (hierzu siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Fischer-Kontroverse; Sowie die Diskussion über das Buch von Christopher Clark "Die Schlafwandler").
    Der genannte Christopher Clark hat sich im seinem kürzlich erschienen Buch über mehrere hundert Seiten zu diesem Thema geäußert.
    Soweit das ungeschickte Agieren des deutschen Kaisers Wilhelm II. hier richtig angesprochen wird, gab es aber auch handfeste Gründe für das Verhalten der deutschen Regierung. Die Annäherung Russlands und Englands hatte z. B. weniger mit der deutschen Flottenrüstung zu tun, als vielmehr mit der Beilegung der Konflikte zwischen den beiden Ländern in Asien. Die Interessen Frankreichs an einer Revision der Ergebnisse des deutsch/französischen Krieges von 1870/71 - Annexion des Elsass und Lothringens durch das deutsche Reich - und den daraus folgenden Handlungen, sowie die Balkankriege (Serbiens Versuche mit russischer Unterstützung ein Großserbisches Reich zu schaffen im Konflikt mit Österreich-Ungarn) werden im Textgar nicht erwähnt, sind aber mindestens genauso wichtig, wenn es um die Klärung der Kriegsursachen geht.
    Der Artikel ist ein netter Versuch, deckt aber das Thema leider nur unvollständig und tendenziös ab.

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    1. "Netter Versuch" ist dann doch etwas euphemistisch. Ein derart komplexes Thema in den paar Absätzen abzuhandeln und dann noch in derartigem Tenor ist mehr als gewagt.

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